Brief an Peter aus Rumänien 1974

 

Zum Verständnis schreibe ich hier einen Vorspann. Die rumänische Regierung Ceaușescu, damals noch mit positivem Image im Westen, hatte im Sommer 1974 – aus welchen Gründen auch immer – in einem Anfall von Großzügigkeit den Deutschen einen billigen Hin- und Rückflug samt Hotel für einen 14-tägigen Urlaub am Schwarzen Meer spendiert. Und zwar – ich glaube sogar für eine ganze Familie – für sage und schreibe 259 DM. Zumindest mit einem Kind zusammen hätte es mich nicht mehr gekostet. Ich wollte nämlich mit meinem kleinen 5 Jahre alten Sohn zusammen dorthin reisen, und es war auch schon alles gebucht, doch seine Mutter, meine frühere ‚Schatzilina‘, hatte mir das nicht erlaubt. Vielleicht hatte sie Angst, wenn die Reise hinter den Eisernen Vorhang nach Rumänien geht, ich würde das Kind in den Ostblock entführen und dort mit ihm auf Nimmerwiedersehn verschwinden. Denn bei anderen Gelegenheiten (z.B. österliche Reise zur holländischen Insel Texel) legte sie kein Veto ein. Als nicht ehelicher Vater war ich gegenüber solcherlei Handlungen der sorgeberechtigten Mutter vollkommen machtlos bzw. rechtlos – man hatte lediglich seine ‘Alimente’ zu zahlen und durfte froh sein,  wenn man sein Kind überhaupt ab und zu mal besuchen konnte.  Dass dies heutzutage in Deutschland trotz einigem höchstrichterlichen Gesülze und einer tatsächlichen Gesetzesänderung von 2013 wirklich echt besser geworden ist, kann  bezweifelt werden. (Vgl. generell Matthias Matussek - “Die vaterlose Gesellschaft”. Sehr wichtig ist auch das Thema PAS-Syndrom).

Der Touristenort in der Nähe der schönen Stadt Constanța hieß Mamaia und war gut bestückt mit diversen Hotelquadern. Mein Parterre-Hotelzimmer war für 3 Personen eingerichtet und ich bewohnte es nunmehr allein, denn es war ja schon mit Kind gebucht. Ich fand diesen Urlaub im Prinzip voll ok. Mir hat es dort gefallen, es gab schöne Strandrestaurants – alle prinzipiell gleich – aber dennoch hatten sie ihren eigenen Charme mit gutem Wein und gutem Essen für wenig Geld. Auch machte ich mal einen kurzen Ausflug mit Bahn und Schiff zum Donaudelta – ganz auf eigene Initiative und ohne jegliche Organisiertheit. Das war ein besonderes Erlebnis – vor allem auch die Kontakte mit den freundlichen und lebensfrohen Menschen.

Nun also der Brief an Peter, d.h. das Briefkonzept, das Original hatte ja nur er.

 

13.6.74

Lieber Peter

Statt mit Florian sitze ich hier im einsamsten Hotelzimmer Mamaias mit meinen Läusen. Vor mir steht eine Riesenflasche Martini vom Frankfurter Flughafen für 6 Mark.

Sie ist natürlich geöffnet.

Eine Hotelnutte hat mich schon angelächelt, aber trüb wie ich bin, flüchtete ich in meine Filzläuse hinein, nebst des Martinis.

Dabei zog ich so wohlgemuth vom Gießener Bahnhof los! Es war eine Pracht, wie ich im Speisewagen (besser Trinkewagen) mein Liedchen pfiff. Zu zwei Flaschen Bier, meiner neuen Hose, frischem Hemd – und alles in allem, Mann – mich juckts schon wieder. „Jucketin“ müßte das Zeug heißen – statt „Jacutin“.

Große Sorge habe ich wegen meiner Hose. Da sie neu ist, und sogar beeindruckend (schwarz glänzend!) darf ich sie doch andererseits nicht mehr ausziehen, die nächsten wenigstens 5 Tage! Was mach ich nur? Am besten ich scheiß auf alle Läuse, nehme mein Jacutin flüssig und Gel, das ich dem Scheiß-Hautarzt heute Morgen noch unter seinem Fluchen abgeluchst habe, besauf mich jeden Tag und versuche, der Hotelnutte nicht mehr aus dem Weg zu gehen, was mir einige Schwierigkeiten bereitet.

Ach Peter, Du bist der einzigste Mensch, dem ich schreiben kann, außer vielleicht Erika, deren Bruder ich bei der Abfahrt am Bahnhof traf und welcher mir sehr gut gefällt.

Das Flugzeug war voller Necker-Männer, -Frauen und -Kinder. Es war eine Boeing 707, vollgepfropft mit Leuten. Der Flug war angenehm und kurz. Nach dem Aufstieg brachten sie sogleich das Fressen, das ich gierig herunterschlang. Anschließend verkauften einem die Schlaumeier Bier für je 1 Mark, wo sie doch anschließend Wein umsonst ausschenkten. Und das alles für 259 Mark.

Neben mir die beiden zahlten für dasselbe – sie hatten vielleicht ein etwas besseres Hotel in Konstanza - 1500 Mark.

Selbst BILD berichtete über meine billige Reise.

Aber dann wartete ich wieder einmal auf Ildiko, jetzt am Gießener Bahnhof, ob sie doch noch mit Florian ankommt! Ich wartete und wartete und wartete. Weißt Du, warten! Du verstehst, was ich meine. Ich hasse mittlerweile jegliches Warten. Ich könnte daran ersticken. Wenn der Bus nicht gleich abfährt usw. Du kennst das ja. Warten auf Godot (ich meine, weil Du einen auf Literatur machst, war das so eine Reminiszenz).

Nachher werde ich mich noch einmal um meine lieben Läuschen kümmern. – Übrigens ist drüben eine Diskothek, die bis 4 Uhr nachts aufhat. Jetzt spielen sie um halb Eins rumänischer Zeit glaube ich so was Ähnliches wie Elvis Presley.

Drin sind edle Weiber. Die Autotür knallt, der Wagen fährt an…

Das Schwarze Meer. Umrahmt von Hotelhochhäusern. Ein Panorama für verlauste Dichter und Denker.

Es gibt Autoskooter, Indianerzelte, Tourist Shops mit Kleidern, Teppichen, Fellmänteln, Strandtaschen und einsam herumhockende sozialistische Wachproleten. Mein Hotelrezipient (ist das richtig?) ist bestimmt mit Sicherheitsaufgaben beauftragt, zumal ich vermute, dass ich demnächst überwacht werde, da ich im Paß einen Bart habe.

Überall diese weltweiten Bezüge. Ach Peter, was hab ich eigentlich rausgekriegt? Bin ich nicht ein armer Tropf, der alles, aber auch restlos alles verloren hat, und nichts zu gewinnen hat, obwohl er’s täglich (seit Jahrzehnten) glaubt?

Das nenn ich Selbsterkenntnis! Romantik im revisionistischen Rumänien (hoffentlich kommt das durch die Zensur?).

Die Weltbezüge! „Ein Schiff mit Irren irrt durch‘s All und wartet auf den Knall und Fall.“ Inzwischen leert sich der Martini, wie Du an meiner Schrift vielleicht zu Recht bemerkst.

Das also ist mein vielgepriesener Rumänien-Urlaub. Wenn ich Glück habe, schaffe ich’s bei der Hotelnutte.

Alles arme Schweine, die in der Boeing 707 nach Rumänien flogen. So Typ Arbeiter und Familie und kinderlieb. Wo ich doch auch so gerne kinderlieb wäre. Aber MAN läßt mich nicht.

Kennst Du die Hotelzimmerhandtücher, die verschlissenen, drittklassigen? Ich hab hier drei Betten auf jedem liegen in Dreiecksform zusammengefaltet zwei solcher Handtücher. Dann sind so aus Leinengummi geflochtene bespannte grüne Stühle jede Menge hier im großen Zimmer. Nebst einem grün geflochtenen Ding, weder Hocker noch Sessel, von dem Du mir einmal erklären mußt, was es bedeutet.

Tja Peter, das wär’s von Mamaia. Überall begegnet man sich selber. Selbst hier. Zähneknirschend wünsche ich mir eine verbissene Familie, wo die Frau so in den Dreißigern so nach jungen Männern schaut, mit Vati, der alles anordnet und alle wollen gut sein usw. Du verstehst? Familienreisen.

Ich grüße Dich aus dem sozialistischen Rumänien,

Dein Freund Manfred.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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